Pikler Spielraum: Freie Bewegung, freies Spiel …alles frei? Grenzenlos?

  • Pikler Spielraum - Ein Raum für Kleinkinder
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Freie Bewegung, freies Spiel …alles frei? Grenzenlos?

Wo bleibt da meine Aufgabe als Elternteil?

Diese Frage stellen sich Eltern oft, wenn Sie zum ersten Mal mit den Grundlagen der Pikler Pädagogik in Kontakt kommen. Freie Bewegungsentwicklung, Freies Spiel…Was ist es nun dieses ganze Freie und ist es das, was im Pikler SpielRaum passiert?

Die Antwort ist: Ja, und noch so Vieles mehr! Es ist ein komplexes Thema, in das so Vieles hineinspielt. Ich möchte versuchen, darzulegen, worauf es dabei ankommt.

Emmi Pikler, eine ungarische Kinderärztin, auf deren Erkenntnissen und Studien diese Pädagogik beruht, hat darauf hingewiesen, dass Kinder vom Säuglingsalter an Fähigkeiten haben, die es ihnen ermöglichen, sich Schritt für Schritt in die Welt einzufügen und sich die Gesetzmäßigkeiten anzueignen. Diese Anschauung unterscheidet sich von der, dass der Säugling grundsätzlich hilflos und abhängig ist und ihm alles beigebracht und gezeigt werden muss. Wichtig in der Pikler Pädagogik ist, dass die Voraussetzungen für das Kind geschaffen und die Unterstützung durch Erwachsene bereitgestellt werden, dass es Erfahrungen machen und sich so entsprechend seiner jeweiligen Konstitution entwickeln kann.

„Frei“ bedeutet nicht „Egal“. „Frei“ bedeutet „Offen und nicht festgelegt“, weder gut noch schlecht!

Frei in dem Zusammenhang bedeutet, dass es keine Einschränkungen gibt, wie z.B. ein Spielmaterial zu verwenden ist. Das Kind nimmt etwa Bausteine, es gibt aber keine Vorgabe, damit etwas Bestimmtes zu tun, wie einen Turm zu bauen oder Ähnliches. Je nach Entwicklung wird das Kind unterschiedlich damit spielen. Ein 6 Monate altes Kind wird mit dem Baustein hantieren, ihn in den Mund nehmen, ihn am Boden hin und her schieben etc., während ein 16 Monate altes Kind die Bausteine vielleicht sammeln und in einen Kübel geben wird, um dann möglicherweise tatsächlich einen Turm zu bauen. Das Handeln und Spielen ist sozusagen ergebnisoffen.

Was ist der SpielRaum nun, was macht ihn aus im Gegensatz zu anderen Spielgruppen, wo liegt der Fokus.

Der SpielRaum ist in erster Linie mal ein Raum, in dem sich junge Kinder (bis ca. 24 Monate) ganz frei bewegen können sollen. D.h. es gibt keine gefährlichen Gegenstände, keine Verletzungsgefahren, ein Raum, in dem nicht jeden Moment jemand „nein“ und „pass auf“ rufen möchte, um das Kind zu schützen. Dann kommt noch einiges an Spiel-, Kletter- und Bewegungsmaterial dazu, das denselben Ansprüchen von Gefahrlosigkeit entsprechen muss. Dies alles zusammen ist dann die so genannte „vorbereitete Umgebung“.

In dieser vorbereiteten Umgebung macht sich z.b. Anna (12 Monate) krabbelnd auf den Weg zu einem Podest, das ca 15cm hoch ist und von dem eine schiefe Ebene nach unten zum Boden führt. Sie kann da schon sehr gut hinaufkrabbeln und die Ebene runterrutschen. Jetzt hat sie es sich zum Ziel gesetzt, auf dem Podest oben aufzustehen, denn das kann sie schon. Aufstehen und Gehen am Boden. Auf einer Erhöhung aufzustehen und auf einer schiefen Ebene dann jedoch runter zu gehen, ist wieder eine ganz andere Anforderung an den Körper. Wie Anna hier vorgehen muss, möchte sie gerade herauszufinden, indem sie sich mit einem kleinen Schritt nach dem anderen hintastet, dann langsam einen Fuß auf die schiefe Ebene gibt und ihr Gewicht verlagert. Sie beginnt zu wackeln und hält ihr Gleichgewicht. An ihrem Blick erkenne ich, dass es ihr noch nicht ganz geheuer ist. Sie geht einen Schritt zurück aufs Podest und hockt sich wieder hin, weil so fühlt sie sich wieder sicher, diese Körperposition ist ihr vertraut. Später, wenn sie will, wird sie ihr Experiment weiterversuchen, immer wieder, weil sie Interesse daran hat, herauszufinden, wie sie das anstellen muss. Und weil Kinder üben und durch Wiederholung lernen.

Das ist der Aspekt der Freien Bewegungsentwicklung. Wäre eine Erwachsene sofort hingeeilt, hätte Annas´ Hand genommen und sie die Ebene an der Hand runtergeführt, hätte Anna die Gleichgewichtserfahrung nicht gemacht. Sie hätte auch nicht erfahren, dass sie, wenn sie unsicher ist, wieder in eine vertraute Position gehen kann und sich sozusagen der Gefahr des Schiefen noch nicht stellen muss und dass sie zu all dem ganz selbstständig in der Lage ist.

Wenn Paul (15 Monate) mit den vier bunten Kübeln spielt, sammelt er vorher alle blauen Holzautos, die er finden kann und gibt sie in den blauen Kübel. Dann nimmt er die Holzringe, die er gesammelt hat und legt sie in den gelben Kübel. Dann setzt er sich zu seiner Mama und schüttet die Holzringe aus dem gelben Kübel in den roten. Ein Spiel, auf das er sich lange einlässt, die Mama schaut zu, beobachtet und gibt ihm Rückmeldung in Form von Blicken oder beschreibenden Worten. Paul hat während seines Spiels, dass er sich selbst ausgesucht hat, gelernt, dass es verschieden Farben und verschiedene Materialien gibt, dass es möglich ist, ein Ding in ein anderes Ding hineinzutun und das Manches in einander passt und Manches nicht, er hat gelernt, dass er aus einem Kübel etwas schütten kann und Vieles mehr.

Das ist der Aspekt des Freien Spiels. Seine Mama hat sich nicht zu ihm gesetzt und ihm erklärt, was blau ist, was ein Auto ist und welches davon aus Holz ist, was ein Kübel ist und wie man ihn verwendet. Er hat es, durch sein konzentriertes Spiel, selbst herausgefunden und erfahren.

Das sind Beispiele aus dem SpielRaum, die für sich sprechen. Die Erwachsenen sind für die Kinder da, in ihrer Nähe, beschreiben, was die Kinder tun und stehen ihnen als Ansprechperson immer zur Verfügung. Wenn ein Kind in Not ist und Hilfe sucht, neigen wir dazu, sofort alle Anliegen des Kindes zu erfüllen und die Vorhaben zu erledigen bzw. ihm beim Durchführen zu erklären, wie etwas zu tun ist. Möglicherweise möchte das Kind aber nur gesehen werden und dann sein Anliegen wieder selbst weiterverfolgen. Diese kleinen Gedanken sind es, die im SpielRaum vielleicht einen größeren Gedanken zur Folge haben könnten.

Worauf es immer wieder ankommt, auch im SpielRaum, ist die Beziehung zueinander. Wie ich mich in einem Moment in der Auseinandersetzung (wertfrei gemeint) auf mein Gegenüber, das Kind, beziehe. Traue ich dem Kind zu, sein Bein aus den Sprossen des Dreiecks zu befreien so sage ich „hey ich sehe, du hast dich mit dem Bein in den Sprossen verfangen und weißt jetzt grad nicht mehr weiter“. Je nachdem was das Kind mir mitteilt, kann ich dann sagen „ich merke, es ist unangenehm und du hast grad echt keine Idee mehr wie du dich befreien kannst, schau ich helf dir raus“ oder „ oh du versuchst es gerade herauszuziehen und probierst selber weiter, ich bin hier wenn du mich brauchst“ etc.

Wenn ich aber hingehe, ohne nachzufragen, es befreie oder ihm erkläre, wie es was zu tun hat, um herauszukommen, was wird das Kind dann in einer ähnlichen Lage machen, was war seine Erfahrung, auf allen Ebenen, körperlich und emotional?
Das ist der Aspekt der Qualität der Beziehung. Das ist das Wie-gehen-wir- miteinander-um.

Ich als Leiterin des SpielRaums habe alle diese erwähnten Aspekte in der Beobachtung und Begleitung der Kinder immer im Blick und richte meine Unterstützungsangebote danach aus.

Das erscheint manchmal so als würde ich „nur“ zuschauen, denn mein in-Beziehung-sein mit dem Kind kann durch Gesten und Wörter, aber auch nur durch Blicke passieren, je nachdem, was gerade erforderlich ist und was dem Kind die Unterstützung gibt, die es in seiner Situation gerade braucht.

Es geht mir im SpielRaum eben nicht darum, dass jedes Kind klettern lernt, weiß wie ein Purzelbaum geht und wozu ein Eierbecher nötig ist sondern darum, dass es lernt, dass es diese Dinge gibt, dass sie aus verschiedenen Materialien sind und unterschiedliche Farben haben und sich unterschiedlich anfühlen, dass man sie erkunden kann, wenn man möchte. Und dass es noch so viele andere Dinge draußen in der Welt gibt, die man erforschen kann und muss, wenn man das Zutrauen in sich hat, dass man es kann und man weiß wie man es anstellen muss, dass man sich und seinen Körper kennt und in unterschiedlichen Situationen adäquat agieren kann.

Das alles habe ich gelernt als ich selbst mit meinen Kindern an Pikler SpielRäumen als Mama immer wieder teilgenommen habe. Ich war sehr fasziniert von der Haltung der Erwachsenen in der Pikler Pädagogik den Kindern gegenüber, denn bei den Kindern fängt alles an, dort passiert Entwicklung und es sind die zukünftigen Erwachsenen.

Nachdem meine Kinder nun älter sind und nicht mehr in den SpielRaum gehen, habe ich mich für die Ausbildung zur Pikler Pädagogin entschieden und biete selber SpielRäume an und hoffe, damit dann doch einige Interessierte zu erreichen.
Ich hab nämlich das Bedürfnis nach einem achtsameren, respektvolleren und nicht wertend zugewandten Umgang aller Menschen miteinander.

Quellenangaben/Referenzen

https://www.zutrauraum.at/der-spielraum

Pikler, Emmi: Laßt mir Zeit: d. selbständige Bewegungsentwicklung d. Kindes bis zum freien Gehen / Emmi Pikler. Zsgest. U. überarb. Von Anna Tardos. – 4. Aufl. – München : Pflaum, 2001

Details

Zur Autorin

Gabriele Jandl
ist in Kärnten aufgewachsen. Wegen ihrem Studium „Soziale Arbeit“ zog sie nach Wien und blieb dort auch für rund 20 Jahre. Nach 20 Jahren wohnen und arbeiten in Wien ist sie mitsamt Mann, 2 Söhnen und Hund nach Kärnten zurückgekehrt. Seit 2006 arbeitete sie in Wien als Sozialarbeiterin mit Jugendlichen und Erwachsenen und nun auch in Kärnten. Sie macht ihre Arbeit sehr gerne, ist aber irgendwann draufgekommen, auch durch die Erfahrungen mit den eigenen Kindern, dass wohl bei den Kleinsten der Kleinen angesetzt werden muss, um Änderung zu erreichen.

Aufgrund dessen startete sie 2018 die Ausbildung zur Pikler Pädagogin und bietet nun Spielräume nach Emmi Pikler bei SuperActive an.

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